Erfahrungsbericht mit Antidepressiva von einem anonymen Teilnehmer

Der sinnlose Bürojob, das momentan überanstrengte Leben, die Ängste, wie und wo es mit mir weitergeht, alles sträubt sich innerlich dagegen, 1000 Fragen keine Antworten. 17 Monate ist es her, da wirkte, Escitalopram nach 5-jähriger Einnahme nicht mehr so wie es sollte oder besser gesagt wie man es gewohnt war.
 
Ich begab mich auf stationär auf eine psychosomatische Station in einer angesessenen Klinik, um einen Medikamentenwechsel vorzunehmen. Eine neue Odyssee nahm ihren Lauf, ahnungslose und teils unwissende Ärzte, die eher von mir beraten wurden anstatt ich von Ihnen, Pfleger, die keine Ahnung haben was ein Antidepressivum mit einem so anstellt im Körper. Therapien, die teils einen Stand der Steinzeit haben. Helfe dir selbst, sonst weiß es keiner.
 
Nach Absprache wurde das Escitalopram von 20 mg auf 0 mg in 2 Wochen abgesetzt und Milnacipran langsam eingeschlichen. Milnacipran, ein eher unbekanntes Medikament, was hauptsächlich in Österreich verschrieben wird aus der Reihe der SNRIs. Da ich, hypersensibles Angstwesen von Haus aus mit permanenter Unruhe getriggert bin, war ich von Anfang an skeptisch. Begründung ganz einfach, das Medikament zielt nicht nur auf Serotonin, sondern auch auf Noradrenalin (ein körpereigener Botenstoff, der als Stresshormon und Neurotransmitter wirkt). Perfekt, beim Einschleichen noch mehr Unruhe und Nervosität als sonst schon. Wieso, weshalb, warum ich trotzdem dem Rat des Arztes folgte, kann ich nur mit einem Aussetzer meines Geisteszustands begründen. 4 Wochen gingen ins Land und das komplette Paket der Nebenwirkungen (ziehen im Hoden, brennen beim Wasser lassen, permanente Unruhe) standen mir bei. Nach ca. 35 Tagen machte ich einen Cut, ich verspürte nicht ansatzweise einen Erfolg. Die wöchentlichen Visitengespräche wurden also wieder spannend, was geben wir jetzt?
 
 
 
Venlafaxin (SNRI), ja ne is klar, hatte vor 10 Jahren nicht funktioniert, aber das sollte man nochmal ausprobieren. Oder was meinen Sie Herr XXXX?
Haben Sie einen Tipp für mich? Wohlgemerkt ein kompetenter und lebenslustiger Klinikarzt der Neurologie. Ich sah ihn des Öfteren an und dachte mir ich sitze auf dem falschen Stuhl. Nur am Rande, hatte es die Station in 6 Wochen nicht hinbekommen meine Krankenakte aus der zum Klinikum angehörigen Institutsambulanz, Luftlinie 200 m, einzusehen. Bürokratie oder ich nannte es komplettes Versagen ein in sich nicht homogen Klinikums. Alles aus den letzten 16 Jahren, sämtliche Medikationen, alle Therapiegespräche, ja mein halbes Leben stand in dieser Akte. Aber zu meinem Pech war meine dortige Ärztin im Krankenstand und Urlaubsmodus. Herausgabe der Akte nur mit Einstimmung und Genehmigung des „Generals“ des Klinikums. Nochmal zur Verinnerlichung, „200 m Luftlinie“. Milnacipran wurde auch dann in einem ambitionierten Start – Ziel Zeitfenster von 7 Tagen abgesetzt. Venlafaxin wurde eingeschlichen, mein ZNS (zentrales Nervensystem) dankte es mir prompt. Die Fußball WM zog ins Land und so langsam wurde mir bewusst hier kann es länger dauern. Die begleitenden Therapien, die zu 80 % aus Sportangeboten bestanden, machte ich mehr unterbewusst als bewusst mit. Zusätzlich stellten sich bei mir Knieprobleme ein, das die ganze Sache nicht leichter machte.
Achtsamkeit wird als neuer Therapie Hype großgeschrieben. Mag ja sein, dass diese Art von Therapieansatz eine Wirkung erzielen kann, nützt, aber nur bedingt, wenn man sich in einem ZNS befindet, das einen permanent signalisiert du bist hier nicht richtig.
 
Meine persönliche Recherche ergab Baclofen (Arzneistoff aus der Gruppe der Muskelrelaxation). Ein Off Label (die Verordnung eines Arzneimittels außerhalb des durch die Arzneimittelbehörden zugelassenen Gebrauchs) Medikament für Menschen mit Alkohol Problemen und Spastiken, was gezielt im ZNS wirkt und nebenbei eine erstaunliche Wirkung gegen aller Art von Ängsten hat. Aber halt „Off Label“ und kein zugelassenes Psychopharmaka. Ohne ärztliches Rezept keine Chance. Aber ich hatte einen Tipp, den ich in der nächsten Visite vortrug. Das wird bei Spastiken eingesetzt, aber hat hier keine Verwendung, so der Oberarzt kurz und knapp. Stattdessen sollte ich doch gegen die ständige Unruhe „zusätzlich“ Seroquel ausprobieren. Standard Medikament für 90 % der Patienten auf dem Klinik Gelände. Verkauft sich also hervorragend. Nächster Tag, nächstes Glück, 25 mg die Einstiegsdosis für Seroquel sollten es sein. Das machte mich auf Anhieb stumpf und dumpf und verschärfte nur die dunklen Stellen in einigen Gehirnregionen. Wie schaffen es Menschen mit 300 mg gerade auszugehen und klar zu denken, dachte ich mir. Dann doch lieben Achtsamkeit und Ergometer. Das Thema Seroquel war für mich vom Tisch. Die Fußball WM zog aus dem Land und Venlafaxin war natürlich nicht der erhoffte Durchbruch. Mit einer Dosis von125mg wurde ich nach ca. 9 Wochen entlassen. Mir ging es schlecht, besser gesagt ich wusste nicht, inwieweit ich überhaupt draußen lebensfähig bin. Die Oberärztin sah mich beim Entlassungsgespräch an und meinte ernsthaft mir ginge es doch gut und das Venlafaxin liegt innerhalb des Spiegels. Machen Sie das beste draus und gehen Sie am Montag wieder arbeiten. Paradoxe Situation, die mir jeglichen Verstand raubte und mich mundtot machte. Meine Gefühlswelt war auf dem Kopf gestellt. Erstmal sacken lassen und raus hier.
 
Ich ging natürlich nicht arbeiten, wie auch. Ein paar Tage später durfte ich wieder zu meiner „Lebensbegleiterin“ und Ärztin in der Institutsambulanz. Warum ich den kein Lyrica (Pregabalin, ein Arzneistoff aus der Gruppe der Antikonvulsiva) auf der Station bekommen hätte, fragte sich mich als Erstes. Das vertrug ich ja vor 10 Jahren schon so gut. Lyrica wird als sogenannter „Mood Stabalizer“ für Angst Patienten verschrieben. Keine Ahnung, antwortete ich. Lyrica kann ein Abhängigkeitspotenzial entwickeln, so die Standard Antwort auf der Station. Quatsch, sagte meine Ärztin, wissenschaftlich noch gar nicht erwiesen. Alles filmreif, was sich hier abspielt, mit dem Stoff könnte ich an die Medien herantreten und was Großes in Gang bringen. Dass Milnacipran und Venlafaxin bei mir nicht wirken, hätte sie sich gleich gedacht. Ja was nun, 9 Wochen stationärer Aufenthalt für die Katz? Ich sollte es doch nochmal mit Escitalopram versuchen. Wo ist das „Versteckte Kamera“ Team, mir wurde glasklar bewusst „bleibe dir treu“ und nicht den Ärzten. Aber wie mache ich weiter? Sich ganz aufgeben, zu kapitulieren, um einen kompletten Neuanfang im Leben zu starten oder aber mich der weiteren Medikamenten Odyssee hingeben, um in dieser krankhaften Gesellschaft zu funktionieren.
Baclofen ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Aber auch meine Ärztin spielte da nicht mit. Das kann sie ihrem Oberarzt gegenüber nicht verantworten und außerdem habe ich kein Alkoholproblem. Tja, leider dachte ich. Nach kurzer Recherche und aus purer Verzweiflung bestellte ich das Baclofen im „World Wide Web“. Ich entschied mich für den chemischen Weg, um die Maschinerie am Laufen zu halten. Der weitere Plan sah vor Venlafaxin auszuschleichen und Escitalopram mal wieder einzuschleichen bei gleichzeitiger Gabe von Lyrica.
 
Mittlerweile kam der Herbst mit all seinen schönen Facetten und der Oktober stand vor der Tür. Die nächsten Monate schritten voran, ich ging fleißig in die Arbeit und ertrug gnädig die Symptomatik des Ein- und Ausschleichens. Meine Ärztin braucht einen langen Atem mit einem Patienten dessen einziges „funktionierendes“ Medikament aus der Gruppe der SSRI/SNRI in den letzten 15 Jahren nochmal neu aufgerollt wird. Der letzte Versuch mit Escitalopram um die Botenstoffe neu zu sortieren. Was ich und mein Körper wirklich wollten interessierte keinen außer mich selber. Meine Ärztin brauchte Abstand von mir um sich neu zu sortieren, sie war quasi mit ihrem Latein am Ende. Für die vollständige Kapitulation war und bin ich momentan noch nicht bereit. Ich suchte mir Rat im Internet, bei einem Psychopharmaka Spezialisten, der wie sich beim Gespräch herausstellte auch nur „Standard“ Format hatte.
 
Venlafaxin auszuschleichen kann sehr anstrengend und kräftezehrend sein, kann aber muss nicht. Wir Menschen sind so verschieden, dass es dafür ein eigenes Wikipedia braucht. Ich bin in 10 Wochen von 125 mg auf 0 mg und glaubt man gewissen Internet Foren, war das noch viel zu kurz. In Begleitung von ständiger Grippe ähnlichen Symptomen und sogenannten „Brain Zaps“ (Stromstöße) im Kopf schreit der Körper und die Seele „Hurra“. Täglich 8 Stunden Bildschirmarbeit im Büro tun ihr Übriges. Und warum sollte eigentlich
jetzt Escitalopram Wunder erwartend wieder wirken? Diese Frage konnte mir meine Ärztin auf wiederholter Nachfrage medizinisch nicht beantworten. Probieren Sie es einfach aus. Mittlerweile war ich wieder bei 10 mg Escitalopram angelangt. Energie und kraftlos fühlte sich mein Körper an, eine Leere, die in Verbundenheit mit einem außer der Spur laufenden ZNS nur Müdigkeit hervorrief. Es gibt Momente, da möchte ich nur für 1 Jahr in einem Sarg liegen und schlafen. Aufwachen mit einem Reset im Kopf und frischer Energie.
 
Baclofen hatte ich mittlerweile im Schrank stehen. Der Mut fehlt mir es, ohne medizinischen Beistand auszuprobieren. Hab ja auch keine Spastiken und kein Alkohol Problem. Trotzdem bringt es mich zum ersten male in meinem Leben in eine medikamentöse Zwickmühle. Was kann ich schon verlieren, nachdem ich ein bekanntes Baclofen Forum im Internet nach allen Berichten, Nebenwirkungen usw. durchforstet hatte und mir dessen bewusst war das eine kleine Dosis keine schwerwiegenden Auswirkungen hätte. Mal davon abgesehen ist die Liste der Nebenwirkungen vom Baclofen sehr sehr überschaubar, im Vergleich zu einem Antidepressivum ein Witz.
 
Das erneute Einschleichen von Escitalopram hätte ich mir sparen können, keine oder besser gesagt die erwünschte Wirkung trat nicht ein. So saßen meine Ärztin und ich eines Abends für 2 Stunden gegenüber und schoben uns die gedanklichen Fragezeichen gegenseitig zu. Wir gingen die gesamte Palette der Psychopharmaka durch und letztendlich sollte ich „nochmal“ Citalopram ausprobieren, schlug vor ca. 8 Jahren gut an, stand aber später die Nesselsucht (in den Händen und am Dekolleté), die sich im Laufe des Einschleichens entwickelte, im Weg. Der Körper vergisst nicht. Wir schlichen ganz langsam ein, erst ein paar Wochen 2,5 mg, dann ein paar Wochen 5 mg usw.. Bis 10 mg war alles in Ordnung. Somit stand dem nichts im Wege mit der Dosierung höher zu gehen. Die 15 mg wurden erreicht und erste Hautirritationen und Juckreiz stellten sich ein. Die Alarmglocken läuteten und die Stimmung ging in den Keller. Meine Ärztin pochte weiter auf Aufdosierung auf 20 mg, da dies die therapeutische Dosierung sei. Gut, dachte ich dann nichts wie rein ins Unverderben. Die Nesselsucht artigen Symptome am Dekolleté und an einigen Stellen in den Händen kamen, sahen und siegten. Nach einer Woche auf einer Dosierung von 20 mg Citalopram hatte ich dein dumpf drückendes Gefühl auf der Brust und den Bronchien. Nach Absprache mit meiner Ärztin machten wir einen sofortigen Cut, um nicht als Notfall Asthmatiker in einer Klinik zu landen.
Ok, da habe ich ja Erfahrung drin und bin schließlich „Ausschleich“ Experte.
6 Wochen wollte ich mir geben von 20 mg auf 0 mg. Man gönnt sich ja sonst nichts. Die Ängste stiegen in jeder Pore meines ZNS von Tag zu Tag an. Die Palette der sogenannten „Stimmungsaufheller“ aus der Gruppe der SSRIs und SNRIs waren zu 90 % abgefertigt. Die Wochen des Absetzens verstrichen, 2 fieberhafte Infektionen während der Absetzphase taten ihr Übriges. Anfang Juli 2019 war ich auf 0 mg Citalopram. Die üblichen Absetzerscheinungen wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Stimmungsschwankungen, Aggressivität und Brain Zaps stellten sich ungefähr nach einer Woche des Absetzens ein. In der Regel sagt man, 4–8 Wochen kann die Symptomatik schon mal dauern. Darauf zu hoffen, dass es hierzu eine Aussage oder Informationen vonseiten der Ärzte gibt, kann man getrost vergessen. Beste Informationsquelle zum Absetzen von Antidepressiva gibt es im Internet unter adfd.org.
 
Meine Ärztin nahm Rücksprache mit Ihrem Oberarzt um die Stecknadel im Heuhaufen zu finden. Ich verteufel meine Ärztin nicht, sie hat mich nie zu irgendwas gezwungen und ist stets bemüht eine Lösung zu finden, wenn auch nur eine medizinische. Sie ist geduldig mit einem schwierigen Patienten, der selber nicht weiß was er „wirklich“ will. Für die nicht medizinische Lösung gibt es vielfältige Möglichkeiten, konventionelle wie auch unkonventionelle. Mein persönlicher Schlüssel liegt hier in der Traumatherapie die hauptsächlich den Körper und das ZNS mit einbindet.
 
Der Anruf meiner Ärztin ließ nicht lange auf sich warten. Tianeptin, ein sehr unbekanntes trizyklisches Antidepressivum, wenig Nebenwirkungen und ein paradoxes Wirkprinzip als alle anderen auf dem Markt gängigen ADs.
Es ist nämlich ein Serotonin Wiederaufnahme Verstärker. Ich wollte mich vorab nicht informieren und ganz unbedacht an das Medikament herantreten. Einziger Nachteil, die Einnahme findet morgens, mittags und abends statt, jeweils 12,5 mg. Rezept war da, die Vorfreude groß und die Apotheke wurde beauftragt.
 
Zwischendurch erhielt ich eine positive Nachricht eines anderen Klinikums welches mir den Starttermin für meine „deep rTms“ Behandlung gab. Die Anmeldung war dort vor ca. 3,5 Monaten. Deep rtms wird bezeichnet als transkranielle Magnetstimulation. Es ist eine nicht invasive Technologie bei der mithilfe starker Magnetfelder Bereiche des Gehirns stimuliert worden. Ausführliche Berichte dazu gibt es Internet. Die Methode wird auch hauptsächlich für Menschen mit schweren Depressionen angewendet, die nicht auf Antidepressiva ansprechen oder sie nicht vertragen.
 
Da ein noch unbekannter Hautausschlag mit tellerartig großen Flächen meine Haut besiedelte, musste ich das Tianeptin nach nur 2 Tagen Einnahme schlagartig wieder absetzen. Ich begab mich in eine Münchner Hautklinik, da dies komplett Neuland für mich war. Nach ausführlichen Tests (Blut, Stuhl, Entzündungsparameter und Gewebeprobe), die allesamt zum guten ausfielen, herrschte mal wieder Unstimmigkeit und Ratlosigkeit in den Augen der Damen und Herren in Weiß. Dass nach 17 Monaten Medikamentenodyssee der Körper irgendwann sagt „STOP“ war mir so klar wie das Amen in der Kirche. Und was gibts als „Lekkerli“ obendrauf? Na klar, Cortison Infusionen, das Allheilmittel, der Heilsbringer in der global medizinischen Branche. Gut, machen wir das auch noch mit, man will ja nicht noch mehr rote Flecken bekommen. Entlassung nach ca. 1 Woche, sie brauchen Geduld, die Flecken brauchen ein paar Wochen bis sie wieder weggehen. Die Diagnose lautete EEM sprich „Erythema multiforme“. Ich werde mich die nächsten 3 Wochen auf meine rtms Behandlung konzentrieren und lass die Flecken einfach Flecken sein.
 
Ein ausführlicher Erfahrungs- Bericht über die „deep rtms“ Behandlung wird folgen.

 
– Autor wünscht sich anonym zu bleiben –